geboren  1871 in Oberheldenberg,  gestorben 1921 in Schönbrunn

 

 Georg Nöscher,

ein Vater der Ärmsten

Eine Skizze von

Bernhard Duhr S. J.

 

Abschrift aus: Frankfurter zeitgemäße Broschüren

 

 

 

April 1922             XXXXI. Band                         7. Heft

Druck und Verlag von Breer & Thiemann, Hamm-Westfalen

 

 

 

 

Georg Nöscher,

ein Vater der Ärmsten

Eine Skizze von

Bernhard Duhr S.J.

In einer Zeit habgierigen Wuchers und unersättlicher Genußsucht auf der einen Seite, vielfältigen Elendes und tiefer Niedergeschlagenheit auf der andern Seite tun uns wahrlich Beispiele von Männern not, die weit entfernt von aller Habgier und Genusssucht  nur dem Wohle ihrer Mitmenschen gedient, die nie etwas für sich gesucht, die arm für sich, stets reich für die Armen waren, die sich nie von Schwierigkeiten und Drangsalen niederdrücken ließen, sondern frohgemut im Dienste des Allerhöchsten und im unerschütterlichen Vertrauen auf seinen allmächtigen Beistand tagtäglich nicht allein sich zu neuer tatkräftiger Arbeit aufrichteten, sondern auch ihre ganze Umgebung, Helfer, Helferinnen und Hilfsbedürftige, zum gleichen Ziel emporhoben. Ein solcher Mann war Georg Nöscher, der Direktor der Pflegeanstalt Schönbrunn. Nicht viele Jahre hat er gelebt, aber diese wenigen Jahre waren reich und gesegnet mit köstlichen Früchten. Sein Leben war eine ununterbrochene lebendige Apologie des Christentums. Möge der so früh Vollendete uns Vorbild und Führer sein, wie wir in der heutigen schrecklichen und verzagten Zeit Leuchte und Führer unserm Volke werden zu selbstloser rastloser Arbeit, zu unerschütterlichem Vertrauen auf den gütigen Vater im Himmel, der uns alle zur Stütze und Hilfe seiner Kinder, unserer Brüder und Schwestern, besonders der ärmsten unter ihnen, berufen hat.

 

Vater Nöscher war eine Zierde des Klerus seiner Diözese, deshalb sei diese kurze Skizze in besonderer Weise gewidmet dem hochwürdigen Klerus der Erzdiözese München-Freising.

 

1.    Ein kurzes und doch langes Leben

In der ergreifenden Trauerrede, die Herr Domkapitular und Dompfarrer Geßl am 23. November 1921 am Grabe des Vaters Nöscher hielt, zeichnete er den Lebenslauf des Verstorbenen mit folgenden Worten: Im Brevier beten wir Priester oft die Worte der Hl. Schrift: „Glückselig der Mann, der ohne Fehl erfunden wird, der dem Gelde nicht nachjagt, der seine Hoffnung nicht auf Geld und irdische Schätze setzt. Solch ein Mann verdient unser Lob, denn Wunderbares hat er in seinem Leben geleistet.“ Ja glückselig der Priester, dem man an seinem Grabe nachrühmen darf, dass e nach diesen Gundsätzen sein Leben eingerichtet hat. Ich bin sicher, keinen Widerspruch der an diesem Grabe in großer Anzahl versammelten Priester und Leidtragenden zu erfahren, wenn ich die eben angeführten Worte voll und ganz anwende auf den edlen Priester, dessen irdische Überreste wir soeben segnend und betend der geweihten Erde bis zum Auferstehungstage übergeben haben. Selbstlos und uneigennützig hat er sein Herz nicht an irdische Güter gehängt, sondern sein Leben im Dienste Gottes und in Ausübung christlicher Nächstenliebe aufgezehrt.  Ja Wunderbares hat er getan im Dienste der Ärmsten !...

 

Geistl. Rat Nöscher ist geboren am 18. Januar1871 als Sohn braver schlichter Ökonomseheleute in Oberheldenberg, Pfarrei Altfraunhofen. Früh regte sich in seinem für Gott begeistertem Herzen der Wunsch, dem lieben Gott als Priester, am Altare dienen zu dürfen. Seine Studien begann er in Landshut und vollendete sie mit gutem Erfolge in Freising, wo er am 29. Juni 1896 durch den hochseligen Herrn Erzbischof v. Thoma zum Priester geweiht wurde. Voll edler Begeisterung für seinen  hl. Beruf ist er vom Grabe des hl. Korbinian weg an das ihm durch seine Vorgesetzten zugewiesene Arbeitsfeld gegangen. Was er als begeisterter junger Priester an seinem Primiztag vor Gott und den zahlreich anwesenden Gläubigen gelobt, das hat er treu    gehalten bis zum Abende seines Erdenlebens: Gloria in excelsis Deo et in terrra pax hominibus.  Sein immerwährendes Streben war es, Gottes Ehre zu fördern und in die gedrückten Menschenherzen Gottes seligen Frieden zu senken. So war es in Altenerding, wo er seine priesterliche Tätigkeit begann, und in München-Neuhausen, wo er auch die Nöte der Großstadtseelsorge  kennen  lernte, wo er sich mit solch liebender Hingabe der heranwachsenden Jugend und des kath. Vereinslebens annahm, dass der Name Nöscher dort heute noch einen guten Klang hat und die Trauerkunde von seinem Hinscheiden viel dankbares Gebet zum

 Himmel steigen läßt.

Von seiner Sorge für Gottes Ehre und das Heil der unsterblichen Seelen weiß besonders die Pfarrei Olching  zu erzählen, wo er im Jahre 1900 als Expositus aufzog. Unter großen Schwierigkeiten und zahlreichen Opfern hat er die so schöne herrliche Kirche gebaut, die in ferner Zukunft noch den Olchingern den Namen Nöscher rühmlich verkünden wird. Er war es auch, der die ersten Schritte getan zur Errichtung der Pfarrei Olching, die dann sein bester Freund, Herr Pfarrer Böhmer, zur Vollendung gebracht hat. So hat die Olchinger Kirche diese zwei edlen Priester zu einer Freundschaft verbunden, wie man sie wohl selten sonst findet.

Pfarrer sollte Herr Nöscher nicht werden. Nach dem heiligen Willen Gottes sollte er auf ein Arbeitsfeld berufen werden, wo die ihm verliehenen Talente zum Besten armer Menschen zu reicher Entfaltung kommen konnten und sollten. So berief ihn die oberhirtliche Stelle als Direktor an die hiesige Assoziationsanstalt, wo seiner eine sorgenvolle Aufgabe wartete, die er bei seinem unerschütterlichen Gottvertrauen und bei seiner bekannten Selbstlosigkeit glücklich gelöst. Hier in Schönbrunn konnte in hellstem Lichte erstrahlen jener Charakterzug, den seine Mitschüler schon im Seminar herausgefunden und den sie in die Worte geprägt haben: Nöscher Vater.

Ja, ein liebevoller, besorgter Vater war er durch 15 Jahre den armen Geschöpfen, die hier untergebracht sind. An seinen 500 Pfleglingen hing er mit wahrhaft väterlicher Liebe. Daß  die Pfleglinge das gewusst haben und dass sie erkennen, was der nun ins Grab Gesenkte ihnen war, das sagen uns die Tränen, die wir auf dem Wege zum Grabe in so manchem Auge glänzen sahen. Ja diesen Armen hat er seine Sorge noch auf dem Sterbebette zugewendet. Hat er doch kurz vor seinem Scheiden für drei recht arme Pfleglinge die Pension bezahlt. Und als man ihn gebeten, im Himmel oben sich der Anstalt und ihrer Inwohner anzunehmen, da gab er eine Antwort, die uns erkennen lässt, wie seine Armen ihm alles waren: wie sollte ich denn im Himmel meiner Sorgenkinder vergessen können! Weil er die Armen so liebte, darum hat er auch von Beginn seiner Tätigkeit sich jener edlen Seelen angenommen, die als Engel der Barmherzigkeit sich in den Dienst dieser Armen gestellt haben. Er hat es durchgesetzt, dass die Schwesterkongregation hier die kirchliche Bestätigung erhielt. Die ehrw. Schwestern werden es ihm nie vergessen, wie er sie sorgsam und sicher geleitet, wie er es verstanden hat, sie für ihren opfervollen Dienst zu begeistern, seine eigene Hochachtung für die Armen, diese bevorzugten Brüder Christi, auch ihren Herzen einzuprägen. Ein Blick auf und in die Anstalt lässt uns die sorgende Vaterhand des Verstorbenen erkennen.

Dieser Zug barmherziger Liebe im Leben des Hochw. Geistl. Rates hat seinen letzten Grund darin, dass er immer und überall so recht ein Priester nach dem Herzen Gottes war. In der andächtigen Feier der hl. Messe, im glaubensvollen Verkehr mit dem Heilande im Allerheiligsten hat er täglich für seinen heiligen Beruf  Kraft und Stärke gesucht und gefunden. Was er gesprochen, was er gelehrt, das war geschöpft aus der hl. Schrift, in deren Lesung er sich täglich vertiefte. Wie lieb ihm dieses heilige Buch war, erkennen wir aus einer seiner Äußerungen, dass er sich schon freue, wenn er im Himmel oben einmal dieses geheimnisvolle Buch recht verstehen lerne. Innig hat er auch die Gottesmutter verehrt und den Samstag besonders geheiligt, dafür durfte er auch an einem Samstag sterben und zugleich am Fest der hl. Elisabeth, die sich durch die Liebe zu den Armen so sehr ausgezeichnet hat. Heiligmäßig hat er gelebt und heiligmäßig ist er gestorben... Einen edlen Priester haben wir hier beerdigt, einen Priester der die große Teilnahme seiner priesterlichen Freunde wohl verdient hat. Für das herrliche Bespiel, das er uns gegeben, wollen wir dankbar sein, und sein priesterliches Beispiel nachzuahmen suchen.  

 

 

2.    Kind und Student

 

„Meine innigstgeliebte Mutter!“ so schreibt der Gymnasiast Georg am 18. Juli 1890 von Freising, „Gefühle der verschiedensten Art sind es, die ei dem Herannahen Deines Namenstages mein Herz durchziehen. Reue, Dankbarkeit, das Bewusstsein meiner großen Schuld Dir gegenüber, eine fast leidenschaftliche Liebe und Zuneigung zu dem Herzn, das stets so warm für mich geschlagen, das alles tritt jetzt wieder lebhafter als je vor meine Seele. Reue über jeden Kummer und Verdruß, den ich Dir leichtsinnigerweise bereitet, Reue über alles, wodurch ich Dich jemals betrübt haben mag. Da an Deinem Namensfeste bitte ich dich für alles, alles um Verzeihung und Nachsicht. Doch was sage ich? Du hast mir gewiß schon längst verziehen und hast alles wieder vergessen. Ein großer Schuldner bin ich Dir gegenüber, denn unzählige Wohltaten habe ich von Dir empfangen an Leib und Seele die ganze Zeit meines bisherigen Lebens und besonders meine Studienzeit hindurch. Möge der Tag der Vergeltung nicht mehr ferne sein! Vorläufig aber kann ich nichts tun als danken und beten für den alleinigen Gegenstand, dem ich mit allen Triebfedern meines Herzens zugetan bin, für meine teure Mutter, um ihr zeitliches und vornehmlich ewiges Wohlergehen. Nimm wohlgefällig auf, geliebte Muter, was ich Dir zu Deinem Namensfeste bieten kann. Einfach ist’s zwar und schlicht und ganz wenig nur, doch denke, dass es Dein Sohn, Dein Schmerzenskind vom Tage seiner Geburt an, ist, der Dir dies schreibt, und dass es aus einem aufrichtigen und leibenden Herzen kommt. Indes mit dem Dank für Vergangenes muß ich auch schon wieder bitten um Zukünftiges und zwar in erster Linie für die Ferienzeit. Abgesehen nämlich von allem was mich betrifft,  habe ich ganz sicher den Besuch einiger meiner Kameraden zu erwarten und zwar kommt einer gleich mit mir heim. Da möchte ich nun schon, dass es diesen nicht schlecht geht und sie gerne bei uns sind. Namentlich schauet darauf, dass unsere Zimmer sich in einer guten Ordnung befinden. Doch was brauche ich lange zu reden, wo ohnehin soviel als möglich geschieht. Kommen werden wir am Donnerstag, den 31. Juli, aber wann, das weiß ich noch nicht, es ist nicht notwendig, dass mich jemand abholt. Wie es gehen wird, weiß ich auch noch nicht; allerdings haben die Dinge sich in der letzten Zeit wider Erwarten gut gestaltet, so dass ich nach menschlichem Ermessen wenigstens nicht mehr durchzufallen fürchte. . . .

Das Verhältnis zu seiner Mutter war geradezu rührend, dieser Brief spricht dafür. Nöscher hielt seine Mutter für eine Heilige. – Wenn er in den Ferien heimkam, erzählte er der  Mutter vor ihrem Bett sitzend, die halbe Nacht hindurch von seinen Studien. Vor der Mutter war seine sonst bekannte Schweigsamkeit dahin. Von der Mutter hat Nöscher die Liebe zur Muttergottes geerbt.

Seinen Studienkameraden war Nöscher ein treuer Freund. Während der Ferien hatte er immer einen, oder manchmal auch zwei Mitstudenten bei seinen Eltern zu Hause; besonders elternlose Kollegen liebte er zu sich zu nehmen, „weil die nicht mehr das Glück hätten, Vater und Mutter zu besitzen“. Die liebevolle Fürsorge für seine Kameraden war so hervorstechend, dass sie ihm einen ihn besonders kennzeichnenden Namen eintrug. Als er zu Freising im Jahre 1895/96 das Amt des Generalpräfekten bei den Alumnen versah, nannte man ihn allgemein „Nöscher-Vater“. Ein Kursgenosse, Her Professor Neumann, schreibt über diese Zeit: „Schon als Generalpräfekt war er die personifizierte Bescheidenheit und Demut und hielt doch dabei das Museum in Zucht und Ordnung, es war ein Jahr schönster Erinnerungen. Zarte Gewissenhaftigkeit zierte ihn: Brevier, Studium, äußeres Auftreten, alles war aus einem Guß . . .  Am 21. Aug. 1908 nach Schluß der Exerzitien wandelten wir beide auf den Freisinger Gottesacker, denn pietätvoll, wie er war, wollte er seine toten Mitbrüder und Bekannten besuchen. Dann lud er mich ein, im Spital ein verwahrlostes Mädchen, die „Kathl“ zu holen für Schönbrunn. Das arme Kind war schon etwas aufgeklärt. Mit feinstem Takte benahm sich der Nöscher-Vater, wie er genannt wurde, und nach einiger Zeit teilte er mir mit frohem Herzen mit, dass „Kathl“ gut und wohlversehen gestorben sei. Neben diesem Sacerdos fühlte ich mich immer klein, seine Demut, seine eiserne Arbeitskraft, sein Ernst, verbunden mit kindlicher Heiterkeit, seine tiefer Frömmigkeit ließ mich in ihm allzeit einen Heiligen erkennen.

 

 

 

3. Das Priesterideal

 

Das Ideal, das Nöscher vom ersten Tage seines Priesterlebens zu verwirklichen suchte, hat er gezeichnet in der Primizpredigt, die er am 16. Juli 1911 in Hohenpolding dem Neupriester Corbinian Aigner hielt.

Eingangs schildert  er den katholischen Priester als Jünger Christi, der Erbarmen hat über die geschundenen und abgehetzten Volksscharen, der den Kindlein, die nach rot verlangen, das Brot bricht, der durch den Geist des Herrn angetrieben wird zu heilen, zu erlösen, aufzurichten, der Mitleid hat mit den Unwissenden und Kindern. Er soll das Apostelwort verwirklichen: Der Priester ist ein Diener des Volkes in seinen Anliegen bei Gott.

Nun zeigt er im Einzelnen dem Neupriester, was er zu tun hat. Vor allem lehre und hüte die Kinder als guter Schutzengel, erweise allen, auch den ärmsten, die gleiche Liebe.

Nimm dich der Burschen an. Wir haben Beispiele dafür, dass eine einzige gut gepflegte Seele auf eine ganze Gemeinde erneuernd und umgestaltend  eingewirkt hat und zum Sauerteig für große Kreise geworden ist. Ein Pfarrer darf sich niemals einreden, er könne in seiner Pfarrei nichts leisten, so unfruchtbar auch lange Zeit hindurch seine Anstrengungen gewesen sein mögen. Die Arbeit allein ist immer segensreich, wenn auch nicht sichtbar erfolgreich. Heilig seien die Jungfrauen. Wenn es gut stehen soll um unsere Seelsorge, müssen wir gute Mütter heranziehen: Die die besten Jungfrauen gewesen, werden die besten Weiber für ihre Männer und die besten Mütter für ihre Kinder. Der Niedergang kommt vom Mangel an guten Müttern. Die Mutter ist es, die das Hauswesen hochhält oder zu Grunde richtet.

Ganz besonders sorge für die Männer. Welch  herrliches Beispiel ein einziger tapferer Mann, ein Mathathias, ein Simon: Die Männerseelsorge, sagt ein Gottesgelehrter, erfordert eine besondere Achtsamkeit und Besonnenheit. Und der hl. Franz Xavr schreibt in einem seiner Briefe: Um wieviel vorteilhafter ist es, mit den Männern zu verkehren, diese zu unterweisen und zum Guten anzuhalten! Sie sind vielfach fähiger, gründlich zu erfassen und sind fester in ihren Entschließungen. Sind sie zu Gott geführt, so werden sie auch ihre Frauen und die ganze Familie in Ordnung halten. Daher gehe womöglich unsere größte Bemühung auf in Bearbeitung und Pflege der Männer; verwenden wir darauf mehr Zeit und Mühe als auf die Seelsorge für die Frauen; denn das sind Äcker, wo sicherer gesät und reichlicher geerntet wird. Sind die Männer zu Gott geführt, so werden sie in der ganzen Familie Ordnung halten.  - Du hast ja schon erfahren, dass es mit Männern ein dankbares Arbeiten ist. Die Güte, Treue und Hingebung, die du gegen die Männer betätigen wirst, werden sie ebenso mit Güte, Treue und Hingebung vergelten.

 

Vergiß auch nicht die alten Leute. Sie seien dir ehrwürdig; ihre Arbeiten, ihre Schweißtropfen, ihr Leiden: guldenweis Leid und kreuzerweis Freud! Nütze ihre Erfahrung. Du kannst dir bei ihnen manchen guten Rat holen, und manche Unterhaltung mit so alten Leuten bringt uns reichen Gewinn für Geist und Herz. Auch solche Leute wollen Liebe.

 

Nun die Kranken und Sterbenden! Die Obsorge für Schwerkranke ist eine der wichtigsten und verdienstlichsten Arbeiten des Seelsorgers. Viel leichter und angenehmer ist freilich der Verkehr mit Kindern. Allein der Seelsorger denkt an die Worte Jesu: Ich war krank und ihr habt mich besucht; was ihr einem aus meinen Brüdern getan, das habt ihr mir getan. Diese Liebeswerk ist Gott höchst wohlgefällig, ist aber auch eines der sichersten Mittel, um allseitiges Vertrauen der Menschen zu finden. Wenn der Seelsorger bald nach der Ankunft in der Gemeinde sich um die Kranken erkundigt und sie aufsucht, sind auch die Gesunden bald für ihn eingenommen. Auch ist die Sorge um die Kranken ein Bußwerk und gewiß eines der sichersten Mittel, um für eigene frühere Fehltritte Genugtuung zu leisten. Zudem lernt man in der Seelsorge das meiste bei den Kranken und an den Sterbebetten, und so bringt jeder Krankenbesuch auch uns selbst den größten Segen: eine wahre Tugendschule. Die Kranken wirst du gerne und häufig besuchen, und hast du einem Kranken für einen bestimmten Tag oder eine Stunde deinen Besuch versprochen, so halte ja dieses Versprechen. Du glaubst nicht, wie hart die Kranken oft auf deinen Besuch warten und wie bitter wehe es ihnen tut, wenn man das Versprechen nicht hält.

 

Sei ein Freund der Sünder. Habe Mitleid mit den Unwissenden und den Irrenden. Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder. Nicht die Sünder zu verurteilen ist unser Amt, sondern dass wir ihnen helfen und sie wieder mit Gott versöhnen. Unsere Lehre sagt uns: Alle Menschen zwar, besonders ber die lasterhaften, sind mit der zartesten Liebe zu umfassen, denn Liebe ist der einzige Weg, um sie zu einem besseren Wandel zu führen. Nur wenn sie sich geliebt sehe, ändern sie ihren Sinn.

 

Liebe, liebe die Armen. Welch eine Civias pauperum! – Überall die Mehrzahl: - Der Priester ist der berufsmäßige Diener der Barmherzigkeit. – Nur die Geistlichen, die nichts im Kopf und kein Herz haben, sind so besessen stolz gegen die armen Leute. Mehr als 10 Mark wird mein Barvermögen nie betragen, das übrige gehört den Armen. (Dieser etwas starke Ausdruck hat Anstoß gefunden, aber sicher ist, dass der Prediger nach diesem Grundsatz lebte).  Das bringt Sege vom Himmel auf deine Seelsorgsarbeit. Gold und Silber habe ich nicht. Durch die Liebe für die Armen erweisest du auch den Reichen, die durch dein Beispiel und durch dein Wort bewogen werden, Barmherzigkeit gegen die Armen zu üben, den größten Dienst. Seine Armut hat uns reich gemacht, heißt es von dem Meister. Wenn du deiner Lebtag ein armer Priester bleibst, wird auch deine Armut viele reich machen und dich selbst am reichsten wie es in der Festmesse vom hl. Franziskus heißt: Der arme Franziskus ging als ein Reicher in den Himmel ein!

 

Nachdem dann Nöscher noch die Zierde des Gotteshauses, dessen schönste Schmuck ein frommes andächtiges Volk sei, dam Neupriester ans Herz gelegt, schloß er mit den Worten: Ich will lieber sterben und mein ganzes Leben die größte Not leiden und in der Verbannung schmachten, als dich in der Kirche Gottes durch mein Beispiel befleckt sehen.

 

Nach diesen Grundsätzen lebte und arbeitete Nöscher. Schon seine ersten Posten in Neuhausen und Olching bezeugen es.

 

Über die Tätigkeit in Neuhausen schreibt sein damaliger Vorgesetzter Msgr. Burggraf: „G: Nöscher war vom Februar 1896 bis November 1898 Kaplan bei mir. Ich erkannnte in ihm sofort   das Urbild eines bescheidenen, tüchtigen, seeleneifrigen Priesters, der bestrebt war, in der Tat ein alter Christus zu werden, soweit menschliche Begrenztheit das zulässt.Anspruchslos für seine Person hatte er stets ein gütiges Auge und eine offene Hand für fremde Not, ein origineller praktischer Prediger, auf den sich die Zuhörer stets freuten, ein geduldiger Beichtvater, ein unermüdlicher Katechet. Gott möge ihm seine reiche verdienstvolle Wirksamkeit göttlich lohnen!“

 

Diese väterliche Güte haben auch die überallher herbeigeströmten Arbeiter in Olching und die im Moos so elend gebetteten Siedler immer und immer wieder erfahren. Für sie baute er unter den allergrößten Schwierigkeiten, stets mit der bittersten Armut kämpfend, ein herrliches Gotteshaus. Von den Arbeiten in Olching rühmt sein Nachfolger, Herr Kreisschulinspektor Pfarrer Böhmer: „Seine Sachlichkeit überwand bei dem Kirchenbau alle die aus persönlichen Sonderinteressen herauswachsenden Hemmnisse, seine Sachlichkeit macht die einflussreichen Personen, auch alle Andersgläubigen, sich und seiner Sache zu tätigen Freunden. „Nur die Sache und nur diese,“ unter Hintansetzung der eigenen Person, das war Nöschers Grundsatz, und die Befolgung diese Grundsatzes das Geheimnis seines Erfolges. Am 29. Juni 1900 wurde die Kirche in Olching benediziert. Seine körperlichen Kräfte waren damit derart erschöpft, dass er eines Tages bei der Opferung die hl. Messe abbrechen musste. Ein gut Teil seiner Lebenskraft ist im Kirchenbau Olching frühzeitig aufgebraucht worden. Dazu kam seine rastlose Seelsorgsarbeit und seine unbegrenzte Wohltätigkeit. Im Moos waren die seelsorglichen Verhältnisse sehr im argen. Nöscher hat in etlichen Jahren eine Reihe von Konkubinaten behoben, indem er durch die Beschaffung des notwendigen Geldes und durch Erledigung der  Schreibereien dem ordnungsgemäßen Abschluß der Ehe den  Weg ebnete. Geholfen hat er jedem, dem er nur helfen konnte. Eine Dame überbrachte ihm eine größere Summe zu seiner freien Verfügung. Nicht für Kirchenbauzwecke, wie man vermuten mochte, alles wurde für die Armen gegeben. Von dem Wohltäter Nöscher kann man wohl sagen: Wer von ihm nichts Gutes empfangen hat, der ist mit ihm nicht in Berührung gekommen.“

 

In Olching hat man diese vielen Wohltaten nie vergessen. Infolge eines einstimmigen Beschlusses der dortigen Gemeindeverwaltung vom 22. Dezember 1917 richtete der Bürgermeister von Olching am 9. Juni 1918 folgendes Schreiben an Nöscher: „In Anbetracht Ihrer rastlosen, unermüdlichen und opferbringenden Hingebung und Leistungen als Seelsorger in unserer Gemeinde inbezug auf unsern damals neuen Kirchenbau hat die Gemeindeverwaltung Sie in unserer Gemeinde verewigt und eine Straße mit dem Namen Nöscherstraße getauft... Auch nochmals herzlichen Dank für alles das, was Sie während Ihres Hierseins als Seelsorger auch in anderer Weise für uns geleistet haben.“

 

Ein noch schöneres Denkmal hat sich Nöscher in den Herzen der Armen und Elenden der Pflegeanstalt in Schönbrunn gesetzt.

 

 

4. Schönbrunn

 

 

(vgl. Joh.Gierl, Schönbrunn, Schloß, Dorf, Associationsanstalt, Freising 1882, und Deutsche Anstalten für Schwachsinnige, Epileptische und psychopathische Jugendliche. Halle 1912, 30 ff.)

 

 

Die schönste und längste Wirksamkeit entfaltete Vater Nöscher in Schönbrunn.

Schönbrunn, ein altes Schloß in der gleichnamigen Gemeinde, liegt in dem breiten Hochlande von Röhrmoos nordwärts von Dachau. Die Gräfin Butler-Clonebough aus Haimhausen begründete 1861 mit Kreszenz Schmitter, der Oberin der sogen. Schmitterschen Anstalt München, einen Verein: „Die Association der Diener und Dienerinnen der göttlichen Vorsehung“, die zuerst einen Wirkungskreis fand in Haimhausen, dann aber in Schönbrunn. Laut Urkunde vom 26. Mai 1862 wurde „zum Zweck der Errichtung einer Anstalt zur Aufnahme geistig und leiblich armer Individuen das ehemalige Schloß Schönbrunn samt einem Bauernanwesen mit einem Grundkomplex von 83 ha 84 a (246,10 Tagwerk durch die Gräfin Frau Viktorine v. Butler-Clonebough aus Haimhausen um die Summe von 75 0000 Tr. erworben.“

 

Im August 1863 zogen 6 Schwestern vom Dritten Orden des hl. Fraziskus mit 18 Pfleglingen in das Schloß, das für ca. 150 Personen Raum bot. Schon im Jahre 1886 waren es 116 Pfleglinge (40 männliche und 76 weibliche. Große Neubauten und Neuerwerbungen von Ländereien ermöglichten in den ersten Jahres des Jahrhunderts, die Zahl der Pfleglinge auf über 300 zu steigern. Als Nöscher im Jahre 1906 die Leitung übernahm, betrug die Zahl der Pfleglinge 375 (159 männliche, 216 weibliche), der Grundbesitz war auf das Doppelte angewachsen. Über die weitere äußere Entwicklung und die inneren Einrichtungen lassen wir nunmehr einige Angaben aus den von Nöscher verfassten Jahresberichten folgen:

 

In dem Jahresbericht 1910 schreibt Nöscher: Der Zweck der Anstalt ist: die Pflege von geistig und leiblich Hilfsbedürftigen. Es finden Aufnahme: Schwachsinnige, Blödsinnige, Epileptische und gebrechliche Leute beiderlei Geschlechtes. Die Anstalt hat eigene Wasserleitung und besitzt elektrisches Licht (ca. 660 Glühlampen) und Kraft zum Betrieb von 5 Elektromotoren in Brauerei und Schreinerei, Metzgerei, Ökonomie und zum Wasserwerk. Die Anstalt umfasst mehrere Gebäude: Das ehemalige Schloß, eingerichtet für weibliche Pfleglinge, das Gebäude für die männliche Abteilung mit Brauerei, die Anstaltskirche, welche die beiden Wohngebäude der Pfleglinge verbindet, das Wirtschaftsgebäude, errichtet 1903, mit Küche usw., das im Jahre 1907 erbaute Wohngebäude mit eigener Hauskapelle, in welchem größtenteils ältere, weibliche Pfleglinge untergebracht sind. In letzterem Gebäude ist eine den Anforderungen der Neuzeit entsprechende Bäckerei eingerichtet. Außerdem gehören zur Anstalt: das Wohnhaus für die Anstaltsarzt, das Gasthaus mit einer neu eingerichteten Metzgerei und große, praktisch und bequem eingerichtete Stallungen und Städel. Die Anstalt besitzt: 169 Hektar Grundstücke, Ackerland und Wiesen und an Viehbestand: 60 Milchkühe, 40 Stück Jungvieh, 12 Pferde, 14 Ochsen, 50 Schweine, 155 Schafe und Lämmer und gegen 300 Stück Federvieh.

 

Der vielseitige Betrieb der Anstalt machte es möglich, dass der größte Teil der Pfleglinge, gegen 270, in angemessener Weise beschäftigt werden konnte.

                                        

Zum Zweck der Erholung ist ein großer, schattiger Park mit vielen Tischen und Ruhebänken vorhanden. Dieser bot den Pfleglingen angenehmen Aufenthalt im Freien; bei sehr schöner Witterung wurden dort auch die Mahlzeiten eingenommen; on den Jüngeren wurden auch verschiedene Spiele aufgeführt. Eine schöne Zierde des Parkes ist das in diesem Jahre neu errichtete Marterl mit der Statue des hl. Franziskus. Die männliche Abteilung besitzt einen eigenen Garten mit Tischen und Sitzbänken. Eine in diesem Jahre neu hergestellte gedeckte Kegelbahn bot besonders den größeren männlichen Pfleglingen viel Unterhaltung. Für die jüngeren Pfleglinge wurde im Berichtsjahre ein Karussell und eine Schaukel neu errichtet, und fanden dieselben unter Grammophon- oder Drehorgelspiel sehr fleißigen Zuspruch. An mehreren Sonn- und Feiertagen bei schöner Witterung machten die Pfleglinge unter Begleitung eines Anstaltsgeistlichen und einiger Pflegeschwestern größere Spaziergänge; an regnerischen und Winternachmittagen bot ein Grammophon, eine Universal-Spielbahn und verschiedene Gesellschaftsspiele Unterhaltung und Zerstreuung. Große Freude und belehrende Unterhaltung bereitete den Pfleglingen an Winterabenden ein im Berichtsjahre neu angeschaffter Lichtbilderapparat, in welchem von den Anstaltsgeistlichen lehrreiche und erheiternde Bilder mit entsprechenden Erläuterungen vorgeführt wurden. Viele von diesen Bildern wurden mit einem neuen Photographapparat hergestellt. Auch wurden bei verschiedenen Gelegenheiten  Festlichkeiten veranstaltet, so an Weihnachten, an Neujahr, den Fastnachtstagen, den Namensfesten der Vorgesetzten, wobei brauchbare Pfleglinge bei Theaterspiel und Deklamation von Gedichten mithalfen.

 

Über die religiösen Übungen und die Schule heißt es: der größte Teil der Pfleglinge wohnte täglich morgens  6 oder 7 ¼ Uhr dem hl. Messopfer bei. Täglich abends ½ 6 Uhr wurde in der Kirche der hl. Rosenkranz für die lebenden und verstorbenen Wohltäter des Hauses gebetet. Etwa 2/3 empfingen regelmäßig die hl. Sakramente. Am 3. April empfingen 2 Pfleglinge zum ersten Male die h.  Kommunion. Etwa 23 Pfleglinge besuchten die Werktags- und Feiertagsschule. Der Unterricht wurde von einer geprüften Lehrerin erteilt.

 

Der Jahresbericht 1912 ergibt folgende: Verpflegt wurden im Jahr 1912 im ganzen 359 Pfleglinge. Nach dem Leiden, welches in erster Linie die Anstaltspflege notwendig machte, verteilen sich diese 359 Pfleglinge folgendermaßen:¨Altersschwäche 12,. einfacher Schwachsinn 66, Schwachsinn und Krüppelhaftigkeit 22, Schwachsinn mit körperl. Kränklichkeit 27, Idiotie, Kretinismus und Blödsinn 26, Epilepsie und Chorea 86, Geisteskrankheit 23, Kinderlähmung 4, Schlaganfall 3, Nervenleiden 25, Krüppelhaftigkeit ohne geistigen Defekt 14, Blinde 7, Taubstumme 7, andere chronische Krankheiten 37.

 

An die Pfleglinge wurde verabreicht: Morgens: Kaffee und Semmel oder Weiß- oder Schwarzbrot. Mittags: Suppe, Fleisch und Gemüse oder Suppe und Mehlspeisen. Abends: Suppe mit Fleischbeilagen oder Suppe und Mehlspeisen. Zwischen den Hauptmahlzeiten erhalten die Pfleglinge vormittags und nachmittags Suppe und Brot oder Limonade und Brot, nach Wunsch auch Bier und Brot, letzteres besonders solche, die regelmäßig im Ökonomiebetriebe beschäftigt sind. Schwarzbrot erhielten die Pfleglinge gänzlich frei nach Bedarf. Auch rohes und gekochtes Ob st konnte öfters an die Pfleglinge verabreicht werden. Der Genuss alkoholischer Getränke wurde so viel wie möglich eingeschränkt und dafür selbstbereitete Limonade geboten.

 

In Betreff der so wichtigen Beschäftigung der Pfleglinge konnte Nöscher 1912 einen großen Erfolg buchen. Es waren im Berichtsjahre beschäftigt: 20 im Pferde- und Ochsenstall, 35-40 bei landwirtschaftlichen Arbeiten für ständig, während der Heu- und Getreideernte ca. 70-80, 10-15 im Obst- und Gemüsegarten, 40-50 zu leichteren Hausarbeiten; ferner: 9 zum Ministrantendienste, 2 zum Chorsingen, 2 im Sekretariat, 1 in der Buchbinderei, 1 in der Malerwerkstatt, 2 in der Schreinerei, 2 in der Schlosserei, 3 in der Maurerei, 3 beim Korbflechten, 6 in der Schuhmacherei, 2 in der Weberei, 4 in der Schneiderei, 15 in der Näherei, 2 bei der Strickmaschine, 2 in der Bürstenbinderei, 16 in der Wäscherei, 2 an der Wringmaschine, 3 in der Büglerei, 3 in der Bäckerei, 5 in der Küche ständig, 6-8 täglich eine Stunden, 1 zur Beihilfe bei Limonadenbereitung. 40-50 Pfleglinge fanden nützliche Beschäftigung durch Stricken, Spinnen, Flechtarbeiten, Laubsägearbeiten, Rosenkranzketteln, Botengänge, Holzspalten, Handlangerdienste; es waren demnach ca. 270 Pfleglinge regelmäßig beschäftigt, und das alles, trotzdem kein Zwang zur Arbeit ausgeübt wurde. Pfleglingen, die nicht gerne in der Anstalt waren, wurde nichts in den Weg gelegt, auszutreten. Die Anstalt ist vollständig offen und also ein Entweichen leicht möglich. Im Berichtsjahre kam es zehnmal vor, dass Pfleglinge entliefen. Es waren dies sieben männliche und drei weibliche >Pfleglinge im Alter von 17 bis 68 Jahren, die ausgesprochen schwachsinnig waren oder an temporärer Gemütsdepression litten. Fünf der Entlaufenen kehrten am gleichen oder am anderen Tage selbst wieder in die Anstalt zurück; vier wurden durch Pflegeschwestern oder die verständigte Gendarmerie zurückgebracht, einer anderen Anstalt überwiesen.

 

In dem Schlusswort zu dem Bericht von  1914 stellt Nöscher im Juli 1915 fest: “Der im August zum Ausbruch gekommene Krieg machte sich auch für die Anstalt sehr fühlbar, 6 kaum zu ersetzende Anstaltsbedienstete wurden einberufen, 3 Pferde mussten an die Militärverwaltung abgegeben werden, manche Einschränkungen wurden notwendig, der Anstaltsbetrieb verteuerte sich. Trotz allem aber konnte die Anstalt auch bei den an sie gestellten gesteigerten Anforderungen ihrer Aufgabe gerecht werden hauptsächlich wegen der Landwirtschaft, deren Ertrag es der Anstalt ermöglichte, in diesen schweren Zeiten verhältnismäßig gut durchzukommen. Wir danken allen von Herzen, die mit Rat und Tat mitgeholfen haben, die Anstalt und deren Gedeihen zu fördern. Der Grundbesitz war 1914 auf fas 246 ½ ha angewachsen. Im Jahre 1918 und 921 kamen noch 133 Tagwerk hinzu.

 

Der letzte Bericht ist vom Juli 1921. Trotzdem der Viehbestand durch die Maul- und Klauenseuche im Juni 1920 um ca. 40 Stück vermindert wurde und trotz der zunehmenden Teuerung konnte, wie Nöscher mit Dank gegen Gott feststellte, der Betrieb der Anstalt in vollem umfang aufrechterhalten werden. Die Einnahmen des Jahres betrugen in runden Summen über 725000, die Ausgaben über 714000 Mark. Die Zahl der Schwestern war von 80 im Jahre 1906 auf 165, die der Pfleglinge auf 530 gestiegen.

 

5. Väterliche Liebe

 

Durch die Zeitungen ging vor kurzem folgende Notiz (vergl. Münchener Zeitung Nr. 337 vom 8. Dezember 1921).: „Der kommunistische Dichter Max Barthel ist nach Russland gegangen, wo er, nach dem Bericht der Kommunistin Ruegg, alsbald sein Augenmerk darauf richtete, möglichst viel kostbare Pelze an sich zu bringen. Von Tscheljabinsk fuhr er in einem gut geheizten Waggon, in dem er 3 leere Kupees für sich bewohnte. Halb erfrorene arme Teufel hockten bei 26 Grad Kälte auf den Puffern und im Kohlenwagen. Als Barthels Begleiterin die Leute in den Wagen kommen lassen wollte, untersagte es ihr der begeisterteVolksmann – aus Furcht vor Läusen. Die glühenden Proletarierverse des Dichters sind im Verlag von Kiepenheuer in Potsdam erschienen.“

 

Nicht so der christliche Kommunist Nöscher. Er sammelte keine Schätze für sich, sondern teilt den letzten Pfennig mit den Armen, ohne Scheu vor Ekel und Ansteckung ließ er die ärmsten und schmutzigsten Pfleglinge auf sein Zimmer und hegte und pflegte sie, als wären es seine Kinder.

 

Durch Dekret vom 23. Juli 1906 wurde der bisherige Expositus von Olching zum Direktor der Associationsanstalt Schönbrunn berufen. Bei dieser Berufung gab sich die oberhirtliche Stelle „dem zuversichtlichen Vertrauen hin, der neue Vorstand dieser Anstalt werde durch die gleiche selbstlose Hingabe an seinen Beruf wie bisher die Interessen der seiner Leitung anvertrauten Anstalt in jeder Weise zu fördern suchen, insbesondere aber bestrebt sein, das geistliche Wohl der Anstaltsschwestern und Anstaltspfleglinge mit Gotteshilfe zu pflegen und zu heben.“

 

Die geistliche Behörde stellte damit den richtigen Mann an den richtigen Platz, der das in ihn gesetzte Vertrauen in mehr als gewöhnlicher Weise rechtfertigte.

 

Mit der äußeren Entwicklung hatte der innere Geist der Anstalt nicht gleichen Schritt gehalten. Allerlei Missstände verursachen vielen Verdruss. Einigkeit und Friede ließen viel zu wünschen übrig. Da kam Vater Nöscher als ein Engel des Friedens und der Liebe. Für die äußeren Angelegenheiten hat Vater Nöscher stets entweder selbst gesorgt, oder, was ihm noch lieber, erprobten Kräften die sorge dafür übertragen. Seine Hauptsorge war von Anfang an, den Geist der Anstalt zu heben. Und es gelang ihm wunderbar, den Geist nach seinem Geist umzugestalten. Stetig, so schreibt einer seiner Freunde, arbeitete er an der Erneuerung des Geistes seiner Anstalt. Davon zeugen die vielen Vorträge, Einzelbesprechungen, in denen er seine ganze väterliche Liebe, sein ganzes Herz offenbar werden ließ. Stundenlang hörte er die kleinen lächerlichen Schmerzen seiner Pfleglinge an. Er sagte dann, wenn man darüber den Kopf schüttelte: Ja, für uns sind es Lächerlichkeiten, für sie aber Lebensfragen. Nicht für die geistliche, sondern für die ökonomische Verwaltung der Anstalt mit ihrem großen Grundbesitz suchte und fand er willkommene Entlastung in seinem jungen Mitarbeiter Steininger. Als Direktor behielt er die Oberaufsicht und die geistliche Leitung für sich; denn die Hauptsache ist, wie er sagte, „der Geist einer Anstalt. Davon hängt alles ab.“. Wie originell und praktisch er bei seinen Unterweisungen zu Werke ging, lehrt eine Ansprache „über den Trankkübel“. Immer gab es Streit, einer wollte dem andern die lästige Arbeit zuschieben, den "Trankkübel“ von der Küche in den Schweinestall zu bringen. Da hielt er den Schwestern eine Ansprache über die Tugenden, die beim Trankkübel geübt, und die Verdienste, die gerade diese niedrige Arbeit mit sich bringt. Seitdem gab es keinen Zank mehr. In der ersten Ansprache bei seiner Einführung sagte er: Ich will meinem Amte Ehre machen. Sein erstes Wort an die Pfleglinge lautete: „Gold und Silber hab ich nicht, aber was ich habe, geb ich euch.“ 

 

Wie der Pfarrer von Ars war Nöscher im gewöhnlichen Sinne des Wortes ein mittelmäßiger Prediger. Wörtlich auswendig lernen konnte er nicht. Mangel an gutem Wortgedächtnis hatte ja auch seine ersten Studien erschwert. Er las seine Predigten vor, freilich so, dass man kaum einen Unterschied vom freien Vortrag merkte. Der Vortrag war auch nicht lebhaft und doch fesselte er seine Zuhörer, Schwestern und Pfleglinge und zwar solche Pfleglinge. Dies erzielte Nöscher besonders durch viele lehrreiche Geschichten und eine ganz volkstümliche Sprache, bei der er auch vom Dialekt ausgiebigen Gebrauch machte: er predigte eben für seine Zuhörer. Dabei machte er stets praktische Anwendungen. Z.B.: Wenn du deinem Mitpflegling die Nase putzest und ihm die Hose wieder sauber machst, so ist das echte Nächstenliebe. Seine aszetischen Vorträge bei den Schwestern gipfelten immer wieder in dem Satz: Eure Frömmigkeit taugt nichts, wenn ihr nicht die echte tatkräftige Nächstenliebe zu einander habt. Von übertriebener Frömmelei wollte er nichts wissen.

 

Bei der Ankunft Nöschers gab es viel zu ordnen. Schwierigkeiten über Schwierigkeiten türmten sich ihm entgegen. Aber Nöscher war mit dem Willen des Ordnens gekommen, und was er für gut befand, das setzte er nach und nach durch seinen eisernen Willen, durch seine himmlische Geduld, durch seine alles ertragende Schweigsamkeit, die auch persönliche Kränkungen ertrug, durch. Vor allem führte er in Schönbrunn eine vernünftige Tagesordnung ein. Vo seiner Ankunft mussten die Schwestern schon in der Frühe um 3 1/4 Uhr aufstehen, dann beteten sie ihre Ordensgebete, Kreuzweg usw. und waren dann bis zum Morgen, wo die eigentliche Berufsarbeit angehen sollte, schon etwas müde.( –vergl. Die Tagesordnung bei Gierl, 145 ff). Nöscher ließ die Schwestern schlafen bis ¾ 5 Uhr, 5 ¼ Uhr Morgengebet, 6 Uhr Konventmesse; das Officium wurde während des Tages schön und zweckmäßig verteilt, aber immer geht die Krankenpflege vor. Um 1/2 8 Uhr war Abendgebet, hernach begab sich alles zur Ruhe.

 

Unangenehme Dinge, wie sie in einer derartigen Anstalt nie mangeln, erledigte er niemals in heftiger Weise. Für die ihm Anvertrauten war er wahrhaft väterlich besorgt, besonders zeigte sich seine väterliche Liebe gegen die Kinder. Es war ihm Herzenssache, dass gerade die Kinder die richtige Verpflegung und Erziehung erhielten. Stets sorgte er dafür, dass die für Kinder so notwenige Freiheit für Spiel und Naturwanderungen nicht beschnitten wurde. Er ließ sich da von der richtigen Einsicht leiten, dass des Kindes Gemüt Ablenkung und Freude verlangt, soll es nicht frühzeitig verkümmern. So weit es ihm möglich war, nahm er selbst die Gelegenheit war, sich mit den Kindern zu freuen.

 

Auf die Unterweisungen verwandte er viele Zeit und Mühe. Um ½ 8 Uhr abends hielt er viermal wöchentlich aszetische Unterweisung für Kandidatinnen, Novizinnen und Schwestern. Den ganzen Tag über war er heimgesucht von hilfsbedürftigen Pfleglingen, Schwestern oder Auswärtigen. Es war eine Seltenheit, wenn man an die Türe des Direktorzimmers kam, ohne dass man vor der Türe jemand warten sah. Nöscher war den ganzen Tag über viel geplagt. Er hatte für alle Anliegen ein überaus großes Verständnis, mit unendlicher Geduld hörte er alle Klagen der Besucher an. Unter Umständen widmete er einer geplagten Seele 2 Stunden. Wo er helfen konnte, half er. Es ist kaum zu sagen, was für ein Segen von seinem Zimmer ausging. Wie viele hat er getröstet in ihrem Leid, wie viele hat er durch seine Mahnungen auf den rechten Weg gebracht, wie viele haben Unterstützung bekommen, ein böses Wort hat keiner gehört. Ganz besonders sorgte er ich um die Kranken; durch häufige Besuche brachte er Sonnenschein in die leidenden Herzen.

 

In einem schönen Gedenkwort, das der hochw. Herr Weihbischof Dr. Hartl seinem ehemaligen Zögling und Schüler gewidmet hat, heißt es zusammenfassend: „Um die Schwestern der Anstalt hat Direktor Nöscher sich u.a. dadurch verdient gemacht, dass er ihre Statuten zweckmäßig ergänzen und durch die oberhirtliche Autorität bestätigen ließ. Die Pfleglinge, unter denen geistige und leibliche Gebrechen aller Art einer väterlichen Fürsorge bedurften, waren ihm seine von der Vorsehung anvertrauten „Kinder“; er war ihr „geistlicher Vater“, den sie ehrten und liebten. Denn auch er liebte sie und hatte für alle das gleiche väterliche Wohlwollen. Ihr sonst an Freuden armes Leben suchte er durch die Schönheit der Gottesdienste und der kirchlichen Feierlichkeiten zu heben und mit dem Schimmer einer heiligen Feststimmung zu umgeben. Auch wusste er ihnen den Sinn für Gemeinschaft einzuflößen. Sie betrachteten alles, was zu Schönbrunn gehörte, als ihr Eigentum und sahen alles, was Gärten und Felder hervorbrachten, als für ihren alleinigen Nutzen und Gebrauch bestimmt an. Darum lebten sie zufrieden und ließen sich gerne zu den Arbeiten, die ihren Kräften angemessen waren, gebrauchen.“

 

6. Letzte Krankheit und Tod.*)

(  *)  Nach gütiger Mitteilung des Herrn Inspektors Steininger, dem ich auch für anderes wertvolles Material zu besonderem Dank verpflichtet bin).

Am 4. September 1921 hielt Vater Nöscher das Erntedankfest in der Anstaltskirche. Niemand ahnte, dass er zum letzten mal Predigt und Hochamt halten werde. Gegen Nachmittag 3 Uhr bekam er starkes Blutspucken. Er wolle auch das wieder überwinden, wie er ja seine Kränklichkeit immer überwand und ganz im Stillen geduldig trug. Als die Geistlichen ihm zuredeten, er solle sich doch einmal etliche Wochen Ruhe gönnen, versprach er es. Leider kam er nicht mehr dazu. Die Krankheit verschlimmerte sich so schnell, die Blutergüsse wurden so häufig und stark, dass er seit dem 11. September ständig im Bett sein musste. Die Gefahr des Erstickens bei einem solchen Bluterguss lag so nahe, dass Vater Nöscher sich mit den hl. Sterbesakramenten versehen ließ. Obwohl er damals schon todschwach war, betete er selber alle Responsorien bei der Hl. Ölung. Merkwürdigerweise traf an dem Tag, an welchem er die hl. Sterbesakramente empfing, die Urkunde der Ernennung zum Erzb. Geistl. Rate ein. Nöscher freute sich sehr über diese Auszeichnung. „Teilt dem Herrn Kardinal meinen Zustand mit,“ sagte er, „dann wird er für mich beten.“ Dann fiel ihm plötzlich ein Kurskollege ein, der Domkapitular ist und den er im Verdacht hatte, dass er ihm die Auszeichnung vermittelt habe. Da machte er eine Faust und sagte:“ Oh der Schauer, kein anderer ist schuld, als wie der.“ Die nächsten Tage wurde sein Zustand so schlimm, dass er selbst alle Hoffnung auf Genesung aufgab. Er ließ sich sein Testament, das er heuer im August gemacht hatte, nochmals bringen, fügte dann auf einem beiliegenden Zettel bei: Wenn mir ein Grabstein gesetzt werden solle, so bitte ich die Worte darauf zu setzen: „ Besser als das Leben ist deine Barmherzigkeit, o Herr.“ Als in jenen Tagen ein Freund ihn besuchte, zeigte er ihm eine Stelle aus dem Lebensbild des P. Aug. Pfeifer S. J., von dessen drängendem Eifer (Nachbaur, Lebensbild des. P. Aug. Pfeifer S. J. Herder 1921. S. 176 f)., er fügte dem bei: „Wenn ich gefehlt habe, dann habe ich gefehlt darin, dass ich meine Gesundheit überschätzte; leider konnte ich nicht mehr tun zur Ehre Gottes.“

 

Bald bekam aber Vater Nöscher wieder starke Hoffnung auf Genesung. Auch die Ärzte hegten wieder Hoffnung. In großer Geduld ertrug N. all das Schwere, das die Krankheit mit sich brachte; nur vor den beängstigenden Stickanfällen fürchtete er ich. Täglich empfing er die hl. Kommunion, auch am Sterbetag noch; neben sich am Bett hatte er ständig das Direktorium und den Katechismus. In das Direktorium zeichnete er täglich auch während der Krankheit noch die Ergebnisse des Partikularexamens ein. Täglich ließ er sich von seinem Inspektor, dem er alles Vertrauen schenkte, genau Bericht erstatten, über die freudigen und betrüblichen Vorkommnisse in dem großen Hause, auch über die großen finanziellen Fragen, die gerade in seine Krankheit hineinfielen, die Verpachtung des Gutes Petersberg, die Pachtung von Mariabrunn, die Baupläne für eine neue Anstaltskirche, die Sorgen der Felderbestellung, des Getreide- und Viehkaufs und Verkaufes, über die Pfleglinge, über Schwestern, von all dem musste ihn der Inspektor täglich benachrichtigen. Er hörte alles ruhig an, gab dann seine kurzen originellen Bemerkungen. Danach gab ihm der Inspektor jedes Mal den Segen. Mit einer Dankbarkeit, die wirklich ergreifen musste, sage er jedes Mal sein „Vergelts Gott, Herr Inspektor.“ Meist fügte er hinzu: „Machts no a so weiter, na wird’s scho recht werden.“ ---

 

Leider wurden die Aussichten auf Genesung immer geringer. Sein Zustand wurde immer besorgniserregender. Vom 13. November ab war es klar, dass der hochw. Vater bald heimgehen werde. Er bot das Bild einer langsam verlöschenden Kerze. Nöscher selber rechnete jetzt wieder ganz bestimmt mit dem Sterben. Er ordnete noch ganz gewissenhaft und peinlich genau die Stipendien, damit er nichts „Belastendes“ mit hinübernehme.

 

Ihr werdet es nächste Woche schöner haben, sagte er zu den Schwestern, die ihn mit großer Hingabe pflegten. Er meinte, nächste Woche werde er schon gestorben sein. In der Phantasie redete er von einer großen Prozession, die bald sein werde, von Engelserscheinungen, Vater und Mutter erschienen ihm und fragten ihn, warum er o lang nicht komme, er sei der ältere und gehöre schon lange hinüber. Am Samstag, den 19. November, vormittags befiel ihn eine große Herzschwäche; wir beteten ihm die Sterbegebete; er überwand die Schwäche nochmals. Darauf waren wir wieder hocherfreut und sagen ihm: Hochw.Vater, jetzt wärens aber bald gestorben. So, sagte er auffallend frisch, da hätte ich jetzt gar nichts gemerkt. Hochw. Vater, wenn’s aber jetzt droben sind im Himmel, dann schauns aber doch schon runter zu uns, und helfen uns und dirigieren unsere Anstalt vom Himmel aus! Darauf erwiderte er wieder ganz frisch: Ja, freilich, was tät ich denn sonst droben, ich vergiß Euch net, und es geht Euch net schlecht! ---

 

Wir beteten ihm den ganzen Tag über viel vor; jedes Kreuz machte er mit seinem langen Arm mit, und wenn er noch so müde war, sobald man anfing zu beten, war die Müdigkeit und das Phantasieren weg. Nachmittags gegen 6 Uhr brachte er die Worte: Maria, meine Mutter, du meine Beschützerin, gar nicht mehr aus dem Sinn, immer wieder wiederholte er sie. Opfer bringen, mahnte er dann einmal. Als wir um 6 Uhr ungefähr beteten: Jesus, Maria und Josef, fragte er, warum kommens denn so lange nicht (er meinte Jesus, Maria und Josef). Die Oberin sagte: „Hochw. Vater, jetzt sinds nimmer lang aus.“ Ja um die 8. Stunde, sagte Pater Nöscher darauf. Und wirklich genau um 8 Uhr hat die Muttergottes am Samstag seine Seele abgeholt. Er war zeitlebens ein eifriger Muttergottesverehrer. An jedem Samstag hat er sich trotz seiner Kränklichkeit der Muttergottes zu Ehren in Speise und Trank Abbruch getan. Gegen ½ 8 Uhr nahm er von der Oberin und den pflegenden Schwester und seiner leiblichen Schwester Abschied. Er gab einer jeden die Hand, was er sonst wahrscheinlich während seines ganzen Priesterlebens nicht getan hat, segnete eine jede eigens und fragte dann: wo sind die anderen Schwestern? Dann spendete er nochmals den Segen für die abwesenden Schwestern. Dann sage er sein letztes Wort: Benedicamus Domino. Unter den Gebeten des Priesters beim letzten Wort: Herr Jesu, nimm meinen Geist auf, verschied er. So heiligmäßig er gelebt, so heiligmäßig ist er gestorben.

 

7. Ein Charakter.

 

Einen Mann, der nach hohem Ziele strebend weiß, was er will, und will, was er weiß, der diesem Willen nachlebt, trotz aller Hemmnisse und Schwierigkeiten von innen und von außen, von oben und von unten, den nennen wir einen Charakter.

 

Ein solcher Charakter war Vater Nöscher. Das betonen alle seine Freunde, aber sie bemerken zugleich, dass das Köstlichste an ihm die feinsten Linien an diesem Charakterkopf für die Zeichnung unerreichbar sind.

 

Einige Linien oder Striche müssen deshalb genügen.

 

Ein guter Beobachter schreibt: Nöscher war eine ganz eigenartige Charaktererscheinung. Das Auffallendste an ihm eine ungewöhnlich eiserne Ruhe. Mit diesem eng verbunden sein schweigsamer Sinn. Man mochte ihn anfangs für einen gleichgültigen, interesselosen Menschen halten, wer aber genauer zusah, konnte beobachten, dass er allen Dingen großes Interesse entgegenbrachte und in sich verarbeitete. Ging etwas gegen seine Überzeugung, so hielt er an sich, ja ließ sich ganz ruhig Grobheiten sagen, ohne etwas zu erwidern, glaubte er aber es seiner Ehre schuldig zu sein, so entgegnete er mit einer einfachen Feststellung der Wahrheit. Seine Schweigsamkeit war so groß, dass er mit seiner Schwester manchmal vier Wochen kein einziges Wort wechselte. Auch beim Mittagstisch war es so gegenüber den Herrn, so dass einmal ein Kaplan die Bemerkung machte: Das ist aber ein grandioser Kollege. Wenn man aber abends zur Unterhaltung beisammen saß, so war er für angeregteste Unerhaltung zu haben. Seine Art der Unterhaltung war außerdem höchst eigen. Er brachte gerne ganz seltsame Zusammenstellungen und Vergleiche, wodurch die besprochenen Dinge eine besondere Belichtung erfuhren. Weil er sich so sehr in der Gewalt hatte, war es ihm auch leicht, in schlimmen Situationen sich zu beherrschen. Niemals hörte man von ihm ein verletzendes Wort, niemals verlor er mit anspruchsvollen Untergebenen die Geduld.

 

Auffallend musste es sein, dass er selbst nur ganz selten Gänge ins Freie machte. Auch nahm er sich nicht Zeit zur Erholungsurlaub. 20 Jahre lang keinen Urlaub! Die zu erklären gelingt nur, wenn man ihn in seinem Berufe und Tätigkeit genauer kannte. Jedenfalls steht das eine fest, dass er im Hinblick auf seine Pflicht und sonstige persönliche Obliegenheiten ungemein aufopferungsvoll war.

 

Er war unterrichtet auf allen Gebieten, hatte eine ungezählte Menge brauchbarster Geschichten für alle Gelegenheiten, schrieb mit vieler Mühe bei seiner angestrengten Direktionstätigkeit alles Interessante und Wichtige nieder und blieb immer mit der Entwicklung der wissenschaftlichen Ergebnisse auf dem Laufenden. Sonst war es schwer, etwas über ihn zu erfahren, denn er war zu bescheiden, um sich für eine besondere, interessante Persönlichkeit zu halten.

 

So lebt er im Andenken aller Bekannten fort als ein abgeklärter, ungemein ruhiger, tatkräftiger und herzensguter Charakter.

 

Ein treuer Freund schildert ihn also: Nöscher war von langer, hagerer Gestalt. Aus einem schmalen Gesicht schauten zwei grundgütige Augen. Den kahlen Kopf trug er meist nach vorn geneigt, ein ungewolltes äußeres Zeichen seiner Demut und inneren Sammlung. Er war nicht allzu gesprächig; wenn er sprach, sprach er rasch, bestimmt, kurz, aber immer fesselnd. Fern lag ihm jede Sucht nach Lob und Anerkennung. Wie man ihm gern zuhörte, so war er auch für andere ein dankbarer, geduldiger Zuhörer. Er verdarb keinen Scherz, er liebte Heiterkeit und Frohsinn um sich her. Nie sah ich ihn heftig, unwillig oder gar gekränkt oder vergrämt. Ein still vergnügtes Lächeln war ihm eigen. In seiner Nähe war es jedem wohl. Man hatte das Gefühl der Festigkeit und des Schutzes. Sein ganzes Wesen war schlicht und offen. Vor allem war er überaus gastfreundlich gegen jedermann. Wenigstens diese eine unter den vom Apostel für das Vorsteheramt geforderten Eigenschaften sollte man ihm nicht absprechen können, meinte er scherzend. Vor Tisch betete er übergewöhnlich lang. Doch beobachtete ich in den letzten Jahren eine wesentliche Kürzung, wahrscheinlich, um „andern nicht lästig zu fallen.“ Ergreifend war seine Haltung und Andacht beim hl. Messopfer. Jahr für Jahr hielt er seine Exerzitien in Freising.

 

Von seiner Tagesordnung schreibt ein anderer Freund: Nöscher stand täglich früh auf und machte täglich seine Betrachtung. Nachmittags 4 Uhr war er stets bereit im Beichtstuhl und arbeitete dann an seinen Vorträgen. Um 6 ¼ Uhr ging er pünktlich zur Adoratio. Jede freie Zeit des Vormittags war dem Studium der Theologie, besonders der Moral und Aszetik gewidmet. Die Hl. Schrift las er täglich zur festgesetzten Stunde. Sehr gern vertiefte er sich in Biographien von Heiligen oder heiligmäßigen Personen. Die Biographie des P. August Pfeifer von P. Nachbaur lag noch an seinem Sterbebette.

 

Geld hatte Nöscher nie für sich, stets für andere. Bis Ostern 1921 begnügte er sich mit einem Jahresgehalt von 1800 Mark. Er hatte nur so viel, als er zum Leben notwendig brauchte. Seine ganze Barschaft beim Sterben betrug 3100 Mark. Alle waren überzeugt, dass er auch diese 3100 Mark nicht mehr besessen hätte, wenn er nicht die letzten 12 Wochen krank gewesen wäre. Sein Geld ging alles auf für gute Zwecke, für Kirchen, Missionen, Bonifaziusverein, besonders aber für die Armen. Vielen Pfleglingen hat er selber das Pflegegeld bezahlt; er wurde allerdings, von schlechten Leuten oft bös ausgenützt; er meinte eben, die anderen Leute seien auch so aufrichtig wie er; er war ohne Falsch und konnte nicht glauben, dass andere Leute Schelme seien. Geliehen hat er Geld nie, sondern immer verschenkt. Einem Kurskollegen, dem auf der Reise das Geld ausging, lieh er 200 Mark in Friedenszeit. Als der Kollege kam und ihm die 200 Mark zurückgeben wollte, sage Nöscher: Gib mir 20 Mark, dann kann ich sagen, du hast mir deine Schuldigkeit bezahlt.

 

Ein untrügliches Kennzeichen für einen edlen Charakter ist das Verhalten gegen Untergebene. Ein Priester, der fast fünf Jahre Kaplan bei Nöscher war, rühmt an ihm: „H. H. Nöscher war gegen seine Kapläne jederzeit liebevoll und väterlich, wir haben von ihm nie ein hartes Wort erhalten; bei meinem Dienstantritt sagte er zu mir, er wolle mir den Vorgesetzten nicht merken lassen. Seine väterliche Güte gegen Schwestern, Pfleglinge, Hauspersonal, seinen allgemeinen Eifer in der Seelsorge, seine Gewissenhaftigkeit als Priester habe ich oft bewundert, denke gern daran zurück; bei aller Güte zeigte er sich nicht schwach.“

 

In zwei Stücken war Vater Nöscher sehr zurückhalten, im Verkehr mit Frauen und mit hohen Herren. Er scheint sich da das Sprüchlein zur Richtschnur genommen zu haben:

 

Von Frauen und hohen Herrn

Halt nach Möglichkeit dich fern!

 

Bei aller väterlichen Freundlichkeit gegen die Schwestern zeigte er auch gegen sie vorsichtigste Zurückhaltung. So betrat er z. B. nie das Arbeitszimmer der Oberin. Einer Dame, die sich beklagte, dass sie Vater Nöscher die Hand gereicht, er aber ihr nur den Finger gegeben, wurde die Antwort: Danken Sie Gott dafür, uns Schwestern gibt er nicht einmal den Finger!

 

Der hochw. Herr Weihbischof Hartl fasst das Charakterbild in die folgenden Worte: „Direktor Nöscher vereinigte in sich alle guten Eigenschaften der altbayerischen Natur. Er war bescheiden und anspruchslos; eine treue und gewissenhafte Pflichterfüllung in der Stellung, die ihm von der Vorsehung zugewiesen war, alt ihm nicht als eine Sache, von der man viel Erwähnung zu machen brauchte; ja selbst von einem so schweren Schlage, wie der Brand des Ökonomiegebäudes, wurde nach außen nicht viel Aufhebens gemacht; man legte ruhig und gottvertrauend die Hand an den Wiederaufbau. Nöscher war eine Natur, die sich durch nichts aus der Fassung bringen ließ; sein Gottvertrauen verließ ihn niemals; seine Frömmigkeit war einfach, echt und unverfälscht.

 

Charakteristisch ist auch das Testament vom 24. August 1921, das also lautet: „ Mein Testament. Gott sei gepriesen, der Vater, der Sohn und der hl. Geist, für alle Liebe, die er mir erwiesen hat und noch erweisen wird bis zu dem Augenblick, da er mich trotz meiner Sünden um Christi willen berufen wird, wie ich zuversichtlich hoffe, zum ewigen Frieden. Allen, die mich auf Erden geliebt und die mir Gutes getan haben, möge der Herr mit ewigen Gütern vergelten. Alle, denen ich wehe getan und Ärgernis gegeben habe, bitte ich um Verzeihung. Meine Schwester Magdalena setze ich zur Erbin meines Nachlasses ein. Meine Bücher soll sie, soweit sich dieselben nicht zu ihrem persönlichen Gebrauche eignen, der Pflegeanstalt Schönbrunn überweisen, ebenso meinen Kelch, meine Paramente und Kleider. Es geschehe in allem der hl. Wille Gottes!“